Die sexualisierende Sprache der Nazis

Bundesarchiv, Bild 102-17049 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0

Sie hören hier Ausschnitte aus der bekanntesten und zugleich furchtbarsten Nazirede überhaupt. 8 Doppelnenungen mit den „Feminina“; es ist kaum zu glauben, dass unser ÖRR seit Kurzem fast genauso redet.

Wenn wir den Sprachenstreit lösen wollen, macht es keinen Sinn, diese Realität auszublenden 1; selbst wenn wir damit mehrere Tabus und Übereinkünfte gleichzeitig brechen.

Die wichtigste Übereinkunft: Frauen extra zu nennen gilt als Zeichen des Respekts, tatsächlich sogar auf beiden Seiten des Sprachenstreites.

Gleichzeitig wird aber in jeder Doppelnennung die „Bürgerin“ zum Anhängsel des „Bürgers“; Frauen werden den Männern so in der Sprache untergeordnet. Was zwar gut zum Menschenbild der Nazis passte, aber das Gegenteil von gerecht ist.
Allein schon wegen dieser Asymmetrie sind Doppelnennungen schon in der Grundstruktur ungerecht; scheinen aber trotzdem – seltsamerweise nur im Deutschen – besonders fest im Sattel zu sitzen.

Diese offen sichtbare Ungerechtigkeit ist aber nur die Spitze des Eisberges.
Das größere destruktive Potential verbirgt sich aber im Unsichtbaren:

  • Die als respektvoll geltenden Doppelnennungen zersetzen, leider praktisch unter der Wahrnehmungsschwelle, unsere Sprache an einer elementaren Stelle. Es geht um ca. 12.000 häufig genutzte Wörter für Menschengruppen, also Wörter wie „Franzosen“ und „Arbeiter“. Während sie viele Jahrtausende lang für alle galten, die in Frankreich leben, und alle, die arbeiten, verlieren sie gerade diese übergreifende Funktion. Die Oberbegriffe gehen verloren, es gibt nur noch Französinnen und Franzosen, bzw. Arbeiter und Arbeiterinnen.
    Damit die „Arbeiterin“ überleben darf, muss der Oberbegriff sterben.
  • Zusätzlich ignorieren diese Doppelnennungen unser Rechtssystem, konkret einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts. In „liebe Schüler und Schülerinnen“ sind intersexuell geborene Kinder schlicht und ergreifend einfach ausgeschlossen; eine Diskriminierung im urspünglichsten Sinne. Es geht dabei nicht nur um diesen offensichtlichen Rechtsbruch, es geht auch um das Lebensgefühl dieser Kinder. Denn für sie ist diese Botschaft des Nicht-dazu-Gehörens furchtbar, mit all den damit verbundenen Folgen.

Die offene Frage: kann es sein, dass wir in der deutschen Sprache so sehr an den Doppelnennungen festhängen, weil die Nazis sie über ihre Propaganda so extrem verbreiteten? Haben großen Verführer mit dieser Sprache nicht nur die Frauen den Männern untergeordnet, sondern gleichzeitig unsere Sprache in die Sackgasse und unsere Sprachgemeinschaft in einen unendlich scheinenden Streit getrieben?

Wenn Doppelnennungen wenigstens eine Lösung wären!
Dann könnten wir uns tatsächlich überlegen, ob wir braune Kröte, bzw. diese Milliarden Kröten weiter schlucken sollen.
Aber: Doppelnennungen können nie eine Lösung sein, denn sie tragen wegen ihrer Asymmetrie die Diskriminierung im Programm! 2.

Wir brauchen dringend eine wissenschaftliche Aufarbeitung all dieser Hintergründe.
Ob die feministische und die daraus hervorgegangene Genderlinguistik dabei mithelfen können, steht in Frage.

Sie erklärten sich von Anfang an als „nicht als nur beobachtend“, sondern auch als „interagierend“. Ein Selbstverständnis, das mit seriöser Wissenschaft nicht zu vereinbaren ist. Wer, wenn nicht die feministische Linguistik, hätte diesen Missbrauchs der femininen Sprachformen durch die Nazis erkennen müssen?

Während die Historische Linguistik mühsam über viele Jahrzehnte hinweg die Unschuld des um 450 v. Chr. falsch benannten generischen „Maskulinums“ herausfand, übersah die Genderlinguistik während der selben Zeit den ungerechten und sogar faschistischen Hintergrund der von ihr selbst „interagierend“ vorangetriebenen Doppelnennungen. Begründete ihr Vorantreiben mit „Rezeptionsstudien“. Was damit vergleichbar wäre, Menschen zu befragen, ob sie sich durch Impfstoffe bedroht fühlen, um auf Basis dieser „Rezeptionsstudien“ eine Kampagne gegen Impfungen zu starten.

Rezeptionsstudien beweisen nichts, höchstens dass Menschen eine Sprachform für böse halten können, wenn sie lange genug am Pranger als böse beschimpft wird.

Wichtig noch: Geht es darum, ob wir die Sprache der Nazis als frühes „Gendern“ bezeichnen können, oder ob ihre Sprache anders heißen muss?

Nein, darum geht es nicht. Es geht „nur“ darum, ob sich die Sprache im heutigen Tatort, also die Suche nach dem „Mörder oder der Mörderin“ sich aus den milliardenfach verbreiteten „Arbeitern und Arbeiterinnen “ von Goebbels und Hitler entwickeln konnte. Ob sich also die von ihrer Grundstruktur destruktiven Doppelnennungen hier im Deutschen wegen ihrer NS-Vergangenheit durchsetzen konnten, während unsere Geschwistersprachen einen gerechten Weg ohne die „Feminina“ gehen konnten.

Ein weiterer Punkt, der erforscht gehört: Wieso merkte so viele Jahrzehnte lang niemand, weder Feminismus, noch Politik und Gerichte, dass die Doppelnennungen diese brutale Verbreitung in der Nazipropaganda hatten? Die Nazis flüsterten sie ja nicht leise ins Mikrofon.
Wie konnte es passieren, dass diese Sprachform im Deutschen, sogar über beide Parteien des Sprachensteites hinaus, selbst heute noch diesen unglaublichen Mantel des Respekts und der Unangreifbarkeit hat? Statt, wie bei unseren Geschwistersprachen, Platz zu machen für eine symmetrische und gerechte Sprache.

Gesucht werden Sprachwissenschaftler, die bereit sind, sich über die Mechanismen von Tabus und Verdrängung einer ganzen Sprachgemeinschaft zu forschen.

Hier noch die Originalrede Goebbels mit den relevanten Textpassagen und Zeitangaben:
0:02 Meine deutschen Volksgenossen und Volksgenossinnen! (erste Ansprache)
0:05 Parteigenossen und Parteigenossinnen. (zweite Ansprache)
57:29 Hunderttausende fleißiger und anständiger Arbeiter und Arbeiterinnen,
58:23 Arbeitern und Arbeiterinnen, die nach einjährem, harten Einsatz Anspruch auf Urlaub haben,
1:00:15 für jeden Bürger und jede Bürgerin des Staates
1:04:22 Freimachung von Arbeitern und Arbeiterinnen für die Rüstungswirtschaft
1:25:40 meine deutschen Volksgenossen und Volksgenossinnen (dritte Anrede)
1:27:53 ein Block von Rüstungsarbeitern und -arbeiterinnen

  1. Die Psychologie beschreibt diesen unerträglichen Spannungszustand und die paradoxen Reaktionen darauf unter den Begriffen „Kognitive Dissonanz“ und „Dissonanzreduktion“ ↩︎
  2. Sowohl die Entstehungsgeschichte der Asymmetrie als auch die mit ihr verbundenen Diskriminierungen werden hier, auf den zukünftigen Seiten, thematisiert. ↩︎