Der Anteil der dritten Kraft

Was klar ist: Weder der Feminismus noch Hitler und seine Schergen erfanden die feminine Endung, das „-in“.
Sowohl die Endung als auch die Doppelnennungen mit ihrer die Nomina Agentis zerstörenden Wirkung gab es schon lange vorher.
Goebbels war nur der erste, der sie dank Radio- und Kinotechnik milliardenfach verbreitete, ähnlich erfolgreich wie das Jahrzehnte später der Feminismus tat.
Brachten tatsächlich diese beiden Bewegungen den Sprachenstreit rund um den Niedergang der Nomina Agentis und dem Versuch, sie durch Gendersternwörter zu ersetzen, in die Welt?

Oder gibt es eine dritte Kraft, die schon lange vor der Erfindung des Radios dafür sorgte, dass die Feminina und Doppelnennungen auf deutschsprachigem Boden in eine Sonderrolle kamen.
Ihre Eliminierung in unseren Geschwistersprachen zeigt klar, dass die Sprachen unserer Sprachfamilie durchaus dazu in der Lage waren, das destruktive Potential der Feminina zu erkennen und sie auszusortieren.
Wieso aber schafften sie das, schon vor langer Zeit, nicht aber das Deutsche?

Was die Zeit verrät

In den meisten nord- und westgermanischen Sprachen – etwa im Niederländischen, Dänischen, Norwegischen und Schwedischen – startete das Aussortieren ihrer Feminina, also ihrer unserer „in/innen“ analogen Sprachform, grob gesehen zwischen 1500 und 1700.

Das ist ein erster Hinweis darauf, dass schon lange vor dem harten Propagieren des Feminismus und der NS-Größen auf deutschsprachigem Boden etwas passiert sein muss, irgend etwas im Zusammenhang mit der Nennung der Geschlechter. Etwas, was bei uns die Sprachform der Feminina wichtiger machte, als sie es bei unseren Geschwistersprachen waren.

Ein Vorgang mit einem klaren Geschlechtsbezug. also, einer, in dem es um den Respekt für Frauen ging.

Bei der Suche nach solchen Vorgängen um 1500 und 1700 fällt einer besonders ins Auge, der von seiner Intensität her tatsächlich zu einer solchen geschlechtsbezogenen Sprachveränderung geführt haben könnte. Es geht um die Zeit der Hexenverbrennungen, deren Hochphase ausgerechnet während der genannten Zeit stattfand. Alle Umstände deuten darauf hin, dass während dieser Zeit alle Voraussetzungen für den automatische, also unbewußt ablaufenden Vorgang der „Meliorisierung1“ vorlagen:

  1. Der Geschlechtsbezug: während in den meisten europäischen Ländern während dieser Zeit nur Männer oder ähnlich viele Männer und Frauen umgebracht wurden, waren ausgerechnet auf deutschsprachigem Boden 80 % der Hingerichteten Frauen
  2. Die emotionale Betroffenheit: Ausgerechnet auf deutschsprachigem Boden war das Morden besonders schlimm: 40% aller Hinrichtungen in Europa fanden hier statt; bei einem Bevölkerungsanteil von nur 15%.
  3. Mit der „innen“-Endung gab es einen eindeutigen Sprachbestandteil für ausschließlich das weibliche Geschlecht.
  4. All diese Voraussetzungen, in dieser Kombination, lagen ausschließlich auf deutschsprachigem Boden vor.

Wie Meliorisierungen entstehen

Genau wie ihr Gegenteil, die Pejorisierungen, entstehen Meliorisierungen automatisch. Niemand kann sie befehlen oder verhindern, denn sie basieren auf Gefühlen. Auf guten, edlen Gefühlen hier, auf Gefühlen der Abwertung dort. Wie sie entstehen, zeigt am eindrucksvollsten das bekannte Beispiel rund um die Unterdrückung Schwarzer2 in den USA.

Dort ging es, ähnlich wie bei der Zeit der Hexenverfolgungen, um die jahrhundertelange Unterdrückung eines Teils der Bevölkerung; dort wegen der Hautfarbe, bei uns wegen des Geschlechts.
Dort wie hier gab es Menschen, die die Diskriminierung nicht akzeptierten, sowohl auf der Seite der Betroffenen als auch auf der priviligierten Seite. Es gab also neben den Unterdrückten auch Weiße bzw. Männer, die sich offen gegen die Unterdrückung stellten.

Noch eine Gemeinsamkeit: in beiden Kämpfen gab es klare Sprachbestandteile, die den Kern des Kampfes klar benannten: In den USA war das das Wort „black“. Während die Herrschenden es ursprünglich als Beleidigung aussprachen, entwickelte es sich auf der Seite der Unterdrückten zu einem Schlüsselwort für ihren Kampf. Statt sich der negativen Konotation zu beugen wurde das Wort langsam, aber sicher zum Teil des Kampfes gegen die Unterdrückung, zu einer Art Fahnenträger das mit dem Wort „black“ verbundenen Anliegen. Besonders deutlich zeigte sich das erst, als die Civil-Rights-Bewegung es mit „Black is beautiful“, oder „Say it loud – I am black and I am proud“ das „black“ sogar offensiv ins Rampenlicht gestellt wurde.
Mit dem Ergebnis, dass sich durch diese neue,positive Konotation, also die Meliorisierung des „black“ starke neue Strömungen bildeten wie „Black Power, „Black Music“, oder „Black lives matter“ 3

Das wäre nie mit dem ursprünglichen pejorisierten „black“ gegangen, nur seine Meliorisierung machte das möglich. Das ging nur mit der Aufladung von „black“ mit all den Emotionen, die die Menschen mit diesem langen Kampf verbanden.

Vom „black“ zu den „-innen“

Kann es nicht möglich sein, dass genau dieser Vorgang auch hier passierte, rund um den jahrhunderte langen Kampf um das Lebensrecht der Frau, während der Zeit der Hexenverbrennungen?
Mit all den Feminina und Doppelnennungen standen sogar deutlich besser passende Wörter für die Aufwertung zur Verfügung als mit dem „black“, welches jenseits der Hautfarbe noch viele andere Dinge benennt. Auch die Nacht ist schwarz, viele haben im Dunkeln Angst. Etwas, was einer Meliorisierung entgegen steht. Aber ein „Wir sollten nicht nur Bürger, sondern auch Bürgerinnen einladen“ ist exakt das, um was es im Kampf um die Rechte der Frau ging.

Eigentlich ist es kaum denkbar, dass es bei all diesen stimmigen Hintergründen NICHT zu der Entwicklung in Richtung Meliorisierung kam, die das Wort „black“ in der Civil-Rights-Bewegung erlebte.
Die Diskriminierung war zu existentiell, zu lang ging der Kampf dagegen. Zu tief die mit dem Kampf und dem Leid verbundene Gefühle.
Der Geschlechtsbezug war eindeutig, das zur Verfügung stehende sprachliche Kennzeichen auch.
Es passt einfach alles zu gut ins Muster, das Meliorisierungen brauchen:
Die Feminina mit dem „-in“ und „-innen“ wurden aufgeladen mit all den Gefühlen, die mit diesem emotionalen kollektiven Widerstandsprozess verbunden waren.

Der Glanz der Aufladung, den niemand mehr missen will

Diese Meliorisierung kann in der Tat auch auch diese völlig seltsame und widersprüchliche Verwendung der gleichen Sprachform, der Doppelnennungen durch solch unterschiedliche Strömungen wie den Nationalsozialismus und den Feminismus auf einfachste Art erklären:

Goebbels wusste, dass seine Frage nach der Bereitschaft für den Totalen Krieg nach der Niederlange in Stalingrad auf der Kippe stand. Daher der tiefe Griff in seine Verführungskiste. Die Feminina in seinen Doppelnennungen waren wegen ihres Glanzes die halbe Miete, das Volk in diese Richtung zu verführen. Er wollte nicht nur die Frauen mit nennen. Er wollte mit der magischen Strahlkraft, die diese Formulierung umgab, das Volk blenden und auf seinen Weg verführen.

Auch 40 Jahre später blendete derselbe Glanz die nach Gleichberechtigung strebenden Frauen so sehr, dass sie sogar die vielen Nachteile dieser Sprachform zu übersehen bereit waren:

  • Die vermutete problematische Entstehungsgeschichte der Doppelnennungen: in diesen frühen, vielleicht patriarchalen Zeiten könnten sie weniger aus Repekt, sondern zur Markierung der Frauen als Sexualobjekt entstanden sein.
  • Die beleidigende4 Ableitung der Frau aus einer als männlich interpretierten Form.
  • Die Nutzung dieser Form gerade einmal 40 Jahre zuvor durch solch schlimme Patriarchen wie Hitler und Goebbels.

All diese dunklen Seiten der Doppelnennungen wurde überstrahlt durch den Glanz der Meliorisierung.

Der verborgene Fallstrick der Feminina

Trotz dieser großen Ähnlickeit zwischen der Meliorisierung von „black“ und „-innen“ gibt es einen elementaren Unterschied:

„Black“ ist ein einfaches neutrales Wort. Es ist weder asymmetrisch noch trägt es ein Zerstörungspotential in sich. Es eignet sich trotz solcher schon erwähnten Assoziation zur Angst machenden „schwarzen Nacht“ immer noch gut als Fahnenträger für den Gleichberechtigungskampf der Schwarzen.

Bei den Feminina ist das anders. Jenseits ihres meliorisierten Glanzes tragen sie eine einfache Logik in sich: Wenn wir Bürger mit „Bürger und Bürgerinnen“ benennen, sind mit „Bürger“ plötzlich nur noch die Männer gemeint. Die jahrtausende alten Oberbegriffe sind den Männern zugeschoben, und verlieren ihre wertvolle, vereinende „generische“ Funktion.
Diese einfache Logik ist es, die langsam, aber sicher, mit jeder einzelnen ausgesprochenen Doppelennung den Kurzbegriffen ihre Funktion als Oberbegriffe raubt. Lehrerzimmer müssen irgendwann in „Lehrer- und Lehrerinnenzimmer“ umbenannt werden, oder gar in „Lehrer*innenzimmer“.
Anders als das Wort „black“ sind die Feminina also nicht harmlos, sondern tragen die Zerstörung in sich. Anders gesagt: Die Feminina wurden durch einen historischen Zufall zum Fanhenträger für Gerechtigkeit, obwohl sie die Ungerechtigkeit in sich tragen.

Als Frau Pusch 1984 dazu aufrief, den generischen Begriffen grundsätzlich die Feminina zur Seite zu stellen, um ihnen so ihre generische Funktion zu nehmen, trieb sie diesen Prozess, den Abbau von 15.000 Nomina Agentis, bewußt voran. Der Abbau wurde vom Nebeneffekt zum Ziel.

Die harmlose Nebenwirkung wird zum erklärten Ziel

Als Frau Pusch 1984 dazu aufrief, den generischen Begriffen grundsätzlich die Feminina zur Seite zu stellen, um ihnen so ihre generische Funktion zu nehmen, trieb sie diesen Prozess, den Abbau von 15.000 Nomina Agentis, bewußt voran. Der Abbau wurde vom Nebeneffekt zum Ziel.

In einem zweiten Schritt musste ein Begründung für diesen Abbauprozess gefunden werden.
Das „der“, also das Genus, über das all unsere Geschwistersprachen ihre alle inklusive Sprache hinbekamen, wurde zum Übeltäter erklärt. Der Kampfbegriff hieß „Generisches Maskulinum“. Heute wissen wir, dass „maskulinum“ als Benennung dieses Genus ein Fehler der frühen Linguistik von 450 vor Chr. war. Die Frauen bauten ihre Argumentation auf diesem Fehler auf.

Die Folgen sind bekannt.
Gerichte folgten der fehlerhaften Argumentation, der ÖRR folgte ebenfalls.

Gleichzeitig spüren aber viele, dass irgendetwas an dieser Entwicklung falsch ist.
Viele dieser Menschen fühlen sich ihrer Sprache beraubt, und das unter einbeziehung dessen, was wir heute wissen, nicht ohne Grund.
Von denen wiederum lassen sich nicht wenige durch das Versprechen demokratiegefährdender Parteien wie die AfD einfangen, die die alte Sprache zurück versprechen.

Ausuferung des Sprachenstreits

Wenn Parteien wie die AfD in die Verantwortung kommen, haben wir dieselbe Bedrohung unserer Demokratie, wie wir es in den USA gerade erleben.
Leider kennen wir keine Wählerbefragungen, die der Frage nachgehen, wieviele der AfD-Stimmen auf die Empörung gegen die aufoktruierte Gendersprache“ zurück gehen. Nach unserem Befragungen sind das ca. 20%, was bedeuten würde dass die AfD bei der Wahl 2025 statt 21% nur 17% bekommen hätte. Immer noch 17% zu viel, aber es ist keine Frage mehr: Der ungelöste Sprachenstreit wird zur Demokratiebedrohung.

Es sieht ganz danach aus, dass die im Fahnenträger des gerechten Kampfes gegen die Hexenverbrennungen ruhende Ungerechtigkeit gerade beginnt, sich einen verhängnisvollen Weg zu bahnen.

Goebbels spürte das Besondere an den Doppelnennungen, als er sie in der schlimmsten und gleichzeitig unsichersten seiner Reden gleich 8 mal nannte, um das Volk zu blenden und es in seinen Totalen Krieg zu verführen. Es war eben nicht nur ein „auch die Frauen ansprechen“, sondern ein opportunistisches Einsetzen des Glanzes, der die Doppelnennungen aus dem ersten erfolgreichen Kampf für die Frauenrechte trugen.

Der Feminismus erkannte zwar anfangs das Ungerechte an diesem Fahnenträger, verfing sich aber schließlich doch in einer frühen Richtungsentscheidung in genau demselben besonderen Glanz. Offensichtlich ohne auch nur im Ansatz zu ahnen, dass gerade einmal 40 Jahre zuvor die Nazis diesen Glanz für ihre furchtbaren Zwecke nutzten.
Die Frauen entschieden sich praktisch für die Bauch- und nicht für die Kopfentscheidung, und machten sich daran, die Feminina aufzubauen, statt sie wie unsere Geschwistersprachen abzuschaffen.
Aufbauend auf dieser Grundsatzentscheidung war es folgerichtig, dass 1984 die ständige Verwendung der Doppelnennungen eingefordert wurden, um den so wichtigen Nomina Agentis ihre jahrtausende alte generische Funktion zu entziehen. Die ursprüngliche „schädliche Nebenwirkung“ des Fahnenträgers wurde zum offiziellen Ziel.

Kurz darauf übernahmen auch unsere Gerichte und Rechtsprechung diese Interpretation. Hätten sie die wissenschaftliche Expertise abgewartet, vielleicht hätte das Deutsche noch den Zug des Niederländischen erwischt, das praktisch als später Nachzügler dem Beispiel der skandinavischen Ländern folgte. Aber auch in Gerichtsentscheidungen fließt das Bauchgefühl von Menschen ein, und genau dort berühren uns „Meliorisierung“. Im Bauch, am Kopf vorbei.

Wie können wir unserer Sprache wieder mit den Füßen auf den Boden helfen?
Bzw. diesem marodierenden ungerechten Fahnenträger aus einer Rolle, die er nie ausfüllen kann, entlassen?
Wie bekommen wir unsere Sprache wieder so gut und einfach sprechbar wie es unsere Geschwistersprachen es schafften?

Fußnoten:

  1. Melior = lat: besser. Mit Meliorisierung ist also eine positive Aufladung von Sprachbestandteilen gemeint. Einfacher zu erkennen sind ihr Gegenteil, also Pejorisierungen, von lat. peior = schlechter. Eine Pejorisierung erlebte z.B. das früher positiv konotierte Wort „Weib“. Heute gilt es, im Gegensatz zu früher, als Beleidigung. Es wurde also mit negativen, abwertenden Gefühlen aufgeladen. Positiv aufgeladen sind z.B. Wörter wie „Schwul“ oder „Gotisch“. Schwul war früher extrem negativ konnotiert, heute wird schwul dank mutiger öffentlicher Auftritte wie dem von Klaus Wowereit als „gut und in Ordnung“ konotiert. Auch „Gotisch“ war lange eine extreme Beleidigung, denn Goten galten als furchtbare Barbaren. Heute wird es verbunden mit besonderen Kirchenformen und einer Musik- wie Kleidungsrichtung, das alles im durchweg positiven Kontext. ↩︎
  2. „Schwarze“ wird hier als Übersetzung des in den USA meliorisierten „black people“ verwendet, nicht als das im Deutschen pejorisierte Wort „Schwarze“. ↩︎
  3. Das passierte in den USA, also dort wo die Schwarzen die Diskriminierung und den Kampf dagegen selbst erlebten. Etwas völlig anderes passierte hier, wo wir Weiße das Leid der Schwarzen in den USA und vor allem das Leid der in den von uns kolonialisierten Regionen in Afrika nicht selbst erlebten, sondern nur „von außen“ beobachteten. Hier wurde das Wort „schwarz“ nicht meliorisiert, sondern pejorisiert, also wegen der Einsicht unseres eigenen Rassismus und der damit verbundenen Scham negativ konotiert. Aus diesem Grund verbannten wir im Deutschen Wörter wie „Schwarze“ und ersetzten sie durch „Farbige“.
    (Vielleicht konnten Sie diese Pejorisierung in den obigen Sätzen spüren. Stellen Sie sich bitte das „Schwarze“ in ihrer meliorisierten Nutzung im Englischen vor, nicht in ihrer pejorisierten im Deutschen.) ↩︎
  4. Luise Pusch über das ungerechte in den Feminina und Doppelnennungen: „Eigentlich ist dieses “-in” für Frauen eine schwere Diskriminierung. Das zeigt eigentlich, die sind nicht die Norm, sondern eine Ableitung von der Norm. Das erinnert so ein bisschen an ‚Mann und Männin‘. ‚Ich will dich Männin heißen weil du ja aus der Rippe des Mannes gemacht bist‘ heißt es da in der Bibel. Und das ist im Grunde nicht positiv.“
    und etwas später: „Das war eigentlich der Beginn unserer Kritik. Wir hatten vorgeschlagen, wir wollen das “-in” abschafffen. Es ist eine Beleidigung. Dadurch wird also gesagt, die Frau ist sozusagen eine Ableitung, oder eine Abart des Mannes.“ ↩︎