Anteil des Feminismus

Wie es aussieht1, können in gleichberechtigten Gesellschaften nicht gleichzeitig Nomina Agentis, also Oberbegriffe wie teacher, lærar, Lehrer und auf asymmetrische Art daraus abgeleitete Endungen nur für Frauen, also teacheress, lærarinna und Lehrerin, überleben.
Während unsere Geschwistersprachen ihre Feminina abschafften, stellten wir sie ins Rampenlicht und eliminieren statt dessen unsere Oberbegriffe.

Die höheren „Gender-Equality-Indices“ dieser Länder stützt diese Vermutung. Verbindende Oberbegriffe für alle Menschen zu haben, scheint der Gleichheit aller Menschen besser zu bekommen als durch die Nennung von Männern und Frauen erstens ständig die Sexualität zu betonen, zweitens den Männern den Stamm- und den Frauen den abgeleiteten Begriff zuzusprechen, und drittens eine vom BVG vor Diskriminierung regelmäßig durch sprachlichen Ausschluß zu diskriminieren.

In diesem Kapitel geht es darum, wie es zu dieser paradoxen Situation gekommen ist. Dabei schauen wir erst auf die Vorgänge der zeitlich näher liegenden feministischen Linguistik, bevor wir uns in einem eigenen Kapitel dem Anteil der NS-Sprache zuwenden.

Die Frage ist also weniger, wieso das überhaupt passiert ist, sondern erst einmal nur den konkreten Einfluß des Feminismus auf die aktuelle Situation zu untersuchen. Was Anfang 1980 die Forderungen der Frauen, was waren ihre langfristigen Ziele?

Bei der Suche nach einer ersten Antwort müssen wir nur in die Entstehungszeit der feministischen Linguistik blicken. Eine klare Ansage mit klaren Worten von dem Menschen, der die gendergerechte Sprache am nachhaltigsten geprägt hat, der den Gendergap in die Sprache brachte und für seinen Einfluß auf die gendergerechte Sprache 2025 das Bundesverdienstkreuz bekam, als bisher einziger in Deutschland:

„Wenn wir Frauen auf dem Femininum bestehen, machen wir damit das Maskulinum geschlechtsspezifisch: In Ausdrücken wie Kolleginnen und Kollegen ist Kollege geschlechtsspezifisch, bezieht sich nur auf Männer. Wenn maskuline Bezeichnungen sich nur auf Männer beziehen können, sind sie, per definitionem, nur noch geschlechtsspezifisch und nicht mehr ‚auch geschlechtsneutral‘, wie bisher über sie behauptet wird.
Sie bekommen damit den gleichen Status wie die weiblichen Bezeichnungen, die auch nicht ‚neutral‘ für das andere, männliche Geschlecht stehen können.“

Pusch, L.F.: Weibliche Personenbezeichnungen als Mittel weiblicher Realitätsdefinition. In: Kürschner, W./ Vogt, R., unter Mitwirkung von S. Siebert-Nemann [Hg.] Sprachtheorie, Pragmatik, Interdisziplinäres. Akten des 19. Linguistischen Kolloquiums Vechta 1984 (LA 157). Bd. 2. Tübingen: 257-273, hier S. 264

Frau Pusch benennt also unmissverständlich das Ziel und die Strategie, um dorthin zu gelangen:

  • Das Ziel: Das „Maskulinum2“ soll „geschlechtsspezifisch“ werden, also seine generische Funktion verlieren.
    Die Kurzbegriffe wie „Kollegen“ sollen sich also nicht, wie noch 1984 üblich, für alle Menschen gelten, sondern nur noch für Männer.
  • Die Strategie: Erreicht werden soll das Ganze dadurch, dass „wir Frauen“ stets auf dem Femininum bestehen und Doppelnennungen verwenden („Meine Kollegen und Kolleginnen“ sagen statt „Meine Kollegen“.

Die Strategie wirkte offensichtlich so heftig, dass schon keine 10 Jahre später das Ziel in die bundesdeutsche Rechtsprechung fand.

Im April 1993 klagte die Saarländerin Marlies Krämer vor Gericht. Der Anlass war eine scheinbar banale Situation, uns allen bekannt, wenn wir im Bürgerbüro den neu beantragten Reisepass abholen wollen: Sie aber weigerte sich, ihn in Empfang zu nehmen, denn im Feld zur Empfangsbestätigung, also dort, wo sie unterschreiben sollte, stünde nur das Wort „Inhaber“. Sie aber sei eine „Inhaberin“! Mit ihrer Unterschrift würde sie ja bestätigen, dass sie ein Mann wäre.
Das Verwaltungsgericht des Saarlandes gab ihr Recht und urteilte, dass die ausschließliche Verwendung des Maskulinums auf Formularen diskriminierend sei. Kurze Zeit nach diesem Urteil ordnete der Bundesrat die Umschreibung aller deutschen Behördenformulare in die Doppelnennungs-Sprache (z.B. „Inhaber bzw. Inhaberin“) an.

Vom akademischen Vorschlag zur staatlich verordneten Sprache

In den 9 Jahren zwischen 1984 und 1993 schaffte es somit die Feministische Linguistik, die asymmetrische, sexualisierende Sprache – die Goebbels knapp 50 Jahre zuvor für die Totale-Krieg-Rede millionenfach verbreitete – vom akademischen Vorschlag zur staatlich verordneten Verwaltungssprache zu machen.


Dieser Erfolg der feministischen Linguistik, der gleichzeitig den Niedergang von 15.000 Nomina Agentis gesetzlich vorgab, muss noch um einen weiteren Punkt ergänzt werden:

So erfolgreich der Weg aus Sicht des Feminismus auch war, er war nicht der einzige damals diskutierte, es gab mindestens zwei ernsthafte Vorschläge3.

  • Nach der von Frau Pusch vertretenen Idee wäre es zu einer symmetrischen Sprache gekommen, die auf den kurzen, alle inkludierenden Oberbegriffen aufgebaut hätte. Sie hätte zu der Gleichheit geführt, wie sie das Englische und skandinavischen Geschwistersprachen schon hatten.
  • Der Weg, für den die anderen, weniger linguistisch bewanderten Frauen plädierten, war die Beibehaltung derselben asymmetrischen Sprache, wie sie 40 Jahre zuvor per Volksempfänger verbreitet wurde. Die Frauen entschieden sich also für die Beibehaltung der sprachlichen Unterordnung der Frau unter den Mann, und wollten statt einer sprachlichen Gleichstellung lieber die separate Nennung der Feminina, wenn es um Frauen geht.

Wieso entschieden sich die Akteurinnen damals für den zweiten, asymmetrischen Weg; den der 40 Jahre zuvor 12 Jahre lang massivst verbreitet wurde?
Offensichtlich ging es hier nicht um das Argument des Verstandes, sondern eins, das aus dem Bauchgefühl kam.
Was war der tiefere, vielleicht unbewusste, psychologische Motor, der die Akteurinnen gerade diesen Weg fortsetzen ließ?

Waren sich die Frauen der Tragweite ihrer Entscheidung bewußt, oder ging es hier eher darum, dass ihnen die Feminina vertrauter und deswegen sinnvoller vorkamen? Falls ja, woher kam diese Vertrautheit? Aus dem Volksempfänger und den Stimmten vieler, die dieses Aufleben der Feminina als Zeichen der Integration der Frauen ins NS-System mit verbreiteten?
Oder gab es noch andere, tiefer sitzenden Gründe, die einen Taktiker wie Goebbels auf die Idee kommen ließen, die Feminina aus opportunistischen Gründen in die schwierigste seiner Reden zu nehmen?

Eine zentrale Säule der NS-Ideologie war das Prinzip der Absonderung und rigoroser Klassifizierung – sei es im Zusammenhang mit Volksgruppen, Rassen oder lebenswertem Leben. Die strategische Weichenstellung, für die sich die Frauen entschieden, war offensichtlich nicht nur ein logischer Fehlgriff, sondern führt mit ihrer zwanghaften Trennung in Männer und Frauen in dieselbe Richtung. Der erste Vorschlag hätte Männer und Frauen in denselben Begriffen vereint, der beschlossene zweite vertieft die Trennung kontinuierlich.

Dieser historische Fehlgriff setzte eine Kausalkette in Gang, die fast zwangsläufig zum Gendersprachenstreit führen musste. Anstatt einen symmetrischen, integrativen Weg zu wählen, entschieden sich die Akteurinnen für die unkritische Fortsetzung eines Musters, das durch die NS-Propaganda in die Sprache getragen wurde: die Sexualisierung vormals generischer Begriffe. Diese emotionale Akzeptanz führte zu einem erzwungenen Abgleiten der gesamten Sprachgemeinschaft in ein strukturelles Chaos, das kaum beherrschbar ist.

Dieses Chaos spaltet die Gesellschaft, schwächt das Vertrauen in Institutionen und bietet populistischen Kräften eine dankbare Angriffsfläche, um die demokratische Debatte zu vergiften. Allen voran die AfD, die gerade im Osten dabei ist, nach dem Ruder zu greifen.

Der Anteil des Feminismus an unserer sexualisierten Sprache ist bestimmt nicht klein.
Wie hoch er in konkreten Zahlen ist, verglichen mit dem des Nationalsozialismus und vielleicht noch weiterer Kräfte, sollte untersucht werden.

Was bleibt ist auf jeden Fall die Verantwortung des Feminismus beim Versuch, die Sprache wieder sicheren Boden zu bekommen. Die historischen Entscheidungen des Feminismus kritisch zu hinterfragen und mit zu helfen, unserer Sprache wieder ihre von Gerichten genommene Entwicklungsfähigkeit zurück zu bringen.

Damit sie sich auf natürliche Art entwickeln kann zu einer Sprache, die statt zu spalten zusammenführt, und durch eine einfache Sprechbarkeit niemanden ausschließt, der nicht so gut reden kann wie die anderen.

Fußnoten:

  1. Siehe der Sprachenvergleich, Unser eigenartiger Weg ↩︎
  2. Heute wissen wir, dass die Kritik am „generischen Makulinum“ auf zwei falschen Fakten“ beruht:
    Der Entstehungsgeschichte der Genera: als die Nomina Agentis entstanden gabe es nur ein Genus, den Vorläufer des „der“
    2. Eine Fehlbenennung der Genera um 450 vor Chr. in „maskulin, feminin und neutrum“. Vorher hatten die Genera nie etwas mit Geschlechtern zu tun; wahrscheinlich hätten wir ohne diesen ersten großen Fehler der Sprachwissenschaften heute keinen Gendersprachenstreit, da die kompette Argumentation des Feminismus auf diesem Fehler aufbaut. Weitere Details siehe Begriffsklärungen, generisches Maskulinum (Mythos) ↩︎
  3. Luise F. Pusch, heute noch aktive feministische Sprachwissenschaftlerin der ersten Stunde:
    Im Indubio-Podcast von Gerd Buurmann am
    Im Talk mit Alicia Joe in Bosettis NIghtshow am ↩︎